Die 4 Schritte zur Überwindung Sozialer Phobie

An ihre Schulzeit erinnert sich Anna nicht gerne zurück. Sich melden, Referate halten, Gruppenarbeit – all das waren Situationen, in der sie ihrer größten Angst ins Auge blicken musste: von anderen Menschen negativ bewertet zu werden. Der bloße Gedanke, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und von den Mitschülern beobachtet zu werden, treibt ihr noch heute das Blut in den Kopf, und ihr Puls fängt an zu rasen. Sie beschreibt, dass sie sich oft am liebsten in Luft auflösen würde, wenn sie unter Menschen ist.

Was Anna da schildert sind Zeichen einer sozialen Phobie. Soziale Phobie oder auch Soziale Angst ist ein weit verbreitetes Phänomen. Ungefähr jede fünfte Person in Deutschland leidet darunter. Betroffene nehmen eine starke Befürchtung und Angst wahr, von Anderen negativ bewertet zu werden und sich zu blamieren. Vielen Betroffenen fällt es beispielsweise schwer, vor vielen Menschen zu sprechen, im Mittelpunkt zu stehen, oder neue Kontakte zu knüpfen.

Häufig entsteht ein Teufelskreis: Je mehr Betroffene sich zurückziehen, um sich solchen für sie bedrohlichen Situationen nicht auszusetzen, umso größer wird die Angst. Das liegt daran, dass positive soziale Erfahrungen durch den Rückzug unmöglich gemacht werden. Darin wird häufig die Bestätigung gesehen, dass Rückzug der sicherste und einzig mögliche Weg sei, die Angst zu reduzieren.

Anna hat in ihrer Schulzeit Erfahrungen mit Mobbing durch Mitschülern durchmachen müssen. Dadurch ist sie zur Überzeugung gekommen: „Ich bin nicht gut genug und kein wertvoller Mensch.“ Von da an hat sie sich zurückgenommen und alles vermieden, was Aufmerksamkeit auf sie hätte ziehen können. Sie hat den Kontakt mit ihren Mitschülern auf ein Minimum reduziert, aus Angst wieder beschämt zu werden. Daher hat sie nie viele Freunde gehabt und kam sich wie eine Außenseiterin vor. Doch das müsste sie gar nicht sein. Im Kern geht es darum, die eigenen Überzeugungen und Gedanken zu verändern. Vier Schritte können helfen, soziale Ängste zu überwinden:

  1. Auslöser von sozialen Ängsten verstehen und überwinden

Die psychologische Forschung hat einige Risikofaktoren identifiziert, die bei der Entstehung einer Sozialen Phobie zusammenwirken können. Folgendes sind Beispiele für Faktoren, die erwiesenermaßen oft eine Rolle spielen:

  • Genetische Anlagen (Vererbung)
  • „Modell-Lernen“ (wenn Eltern sozial ängstlich sind, beobachten Kinder deren Verhalten und interpretieren es als Verhaltensnorm, werden es also nachahmen)
  • Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Schüchternheit und Angst vor neuen, unvertrauten Situationen)
  • Bestimmte Denkstile (z.B. überhöhte Erwartungen an sich selbst, negatives Selbstbild, Katastrophenphantasien bezüglich der Auswirkungen des eigenen Verhaltens)
  • Wenig emotionaler, dafür kontrollierender und überbehütender Erziehungsstil der Eltern
  • Unangenehme Erfahrungen mit anderen Menschen (z.B. von anderen ausgelacht, gedemütigt oder ausgeschlossen werden)
  • Belastende Lebensereignisse (z.B. Mobbing, der Tod eines nahestehenden Menschen oder eine Trennung)
  • Konzentration auf sich selbst und die eigenen körperlichen Symptome (z.B. Erröten), dadurch Verschlimmerung der körperlichen Symptome

In aller Regel sind ein Zusammenspiel mehrerer dieser Faktoren in Kombination mit einem oder mehreren Schlüsselereignissen verantwortlich für die Entstehung einer Sozialen Phobie. Schlüsselereignisse sind häufig Momente, in denen Betroffene sozial beschämt wurden oder eine Blamage wahrgenommen haben. Mobbing zählt zu den häufigsten Auslösern, die oft in der Kindheit oder Jugend liegen. Auch hier kann wieder ein Teufelskreis entstehen: Wenn eine soziale Situation aus der eigenen Perspektive einmal schief geht und als sehr unangenehm erlebt wird, versuchen wir, solche Situationen künftig zu vermeiden. Wenn ein Kind beispielsweise nach einer falschen Antwort in der Schule gehänselt wird, wird es sich eher nicht mehr melden. Je mehr wir es allerdings tatsächlich schaffen, solchen Situationen aus dem Weg zu gehen, desto schwieriger wird es, die Angst wieder abzubauen. Dies würde nämlich über positive soziale Erfahrungen geschehen, beispielsweise Bestätigung der eigenen Kompetenz durch Andere. Bringen wir uns aber gar nicht erst in Situationen, in denen Andere unsere Kompetenz bewerten könnten, nehmen wir uns diese Chance – und die Angst wird eher größer als geringer. Am Beispiel des Schulkindes wird im schlimmsten Falle das Ausbleiben von Hänseleien nach der Entscheidung, sich nicht mehr zu melden, als Beleg für die Angemessenheit dieses Verhaltens gewertet. Damit wächst in manchen Fällen ein Kind heran, das sich sozial immer mehr zurückzieht. Dies ist nur ein Beispiel – zur Identifikation der individuellen Schlüsselereignisse gibt es bewährte Fragetechniken und Übungen.

  • Den Inneren Kritiker umprogrammieren

Circa 50.000 Gedanken denkt der durchschnittliche Mensch pro Tag. Hast Du Dich schon mal gefragt, welcher Anteil dieser Gedanken positiv und welcher negativ ist? Und vielleicht auch, welchen Einfluss all diese Gedanken auf Dein Wohlbefinden und Dein Leben haben? Wir alle haben diese Stimme in unserem Kopf, die, wenn wir mal darauf achten, fast den ganzen Tag zu uns spricht. Oft ist diese hilfreich und erinnert uns beispielsweise an Dinge wie „Du wolltest noch einkaufen gehen“. Ganz oft spricht diese Stimme aber sehr negativ zu uns – das nennen wir den Inneren Kritiker. Der Innere Kritiker sagt Sätze wie „Das schaffst Du doch eh wieder nicht“ oder „Ohje wieso hast Du das denn jetzt gemacht“. Oft spricht diese innere Stimme kritischer mit uns, als es jeder „echte“ Mensch jemals tun würde. Und bei Menschen mit sozialen Ängsten ist diese Stimme besonders laut und kritisch. Ihnen gehen oft Gedanken durch den Kopf wie „Andere Leute werden mich langweilig oder komisch finden, wenn ich jetzt was sage. Aber wenn ich nichts sage, werden sie denken ich sei langweilig. Was mache ich nur?“. Der Innere Kritiker ist auch ein großer Freund von Generalisierungen: „Alle werden mich auslachen“ oder „Niemand findet mich interessant“ sind seine Lieblingssätze. Ein wichtiger Schritt zur Überwindung sozialer Ängste ist daher zu lernen, den Inneren Kritiker zu ertappen, bevor wir seinen Worten zu viel Glauben schenken, und darauf zu achten, freundlicher zu uns selbst zu sprechen. Sozialphobiker profitieren sehr davon zu lernen, dieser Stimme einen Gegenspieler entgegenzustellen: Das Selbstmitgefühl oder den „Inneren Freund“. Hierdurch wird ein alternativer interner Dialog generiert, der die Angstreaktion abmildert, statt sie wie bisher weiter zu befeuern. Hilfreich hierfür sind sogenannte positive Affirmationen. Affirmationen sind Glaubenssätze, also Sätze, die unser Unterbewusstsein beeinflussen. Eine positive Affirmation ist ein selbstbejahender Satz, den wir uns selbst wieder und wieder sagen, um unsere Gedanken umzuprogrammieren. Das Ziel dabei ist, unser Verhalten und unsere Gefühle dauerhaft zu verändern. Denn Denken, Fühlen und Handeln hängen wechselseitig zusammen. Wenn wir unsere Gedanken durch Affirmationen dauerhaft ändern, dann ändert sich nach einer Weile auch unser Verhalten, und selbst unsere Gefühle ziehen nach. Für Sozialphobiker ist die Arbeit am eigenen Selbstwertgefühl hier oft am effektivsten. Das bedeutet, positive Glaubenssätze zu identifizieren, die darauf abzielen das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, was wiederum die Angst reduziert. Beispiele hierfür sind:

  • Ich bin gut, so wie ich bin.
  • Ich nehme wahr, dass ich beliebt bin.
  • Ich traue mich jeden Tag mehr und mehr, einfach ich selbst zu sein.

Ihre größte Wirkung entfalten Affirmationen jedoch, wenn Betroffene sie selbst entwickeln. Eine umfangreiche Anleitung zum Umgang mit dem Inneren Kritiker und dem Identifizieren individuell wirksamer positiver Affirmationen enthält beispielsweise das kivona-Programm „Soziale Ängste“. Hier ist auch erklärt, wie die Anwendung solcher Affirmationen aussehen sollte, um ihre maximale Wirkung im Unterbewusstsein zu entfalten. Dies kann ein wichtiger Schritt im Umgang mit sozialer Phobie sein.

  • Achtsamkeit

Im Alltag hetzen wir meist von einer Situation zur nächsten, denken beim Frühstück daran, was bei der Arbeit ansteht und bei der Arbeit planen wir, was am Abend noch erledigt werden muss. Wenn wir ehrlich sind, sind wir selten mit unseren Gedanken tatsächlich im Hier und Jetzt. Das verursacht Stress, der sich negativ auf unsere Gesundheit auswirkt.

Achtsamkeit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Überwindung sozialer Ängste. Achtsamkeit bedeutet, im Hier und Jetzt zu sein – und zwar nicht nur körperlich, sondern auch mental. Das ist für die meisten Menschen kein Normalzustand. Viele von uns hängen mit ihren Gedanken entweder in der Vergangenheit fest, beschäftigen sich mit Sorgen oder denken über die Zukunft nach. Dieses Denken insbesondere mit Blick auf die Zukunft ist meist von der Hoffnung begleitet, dass sich irgendwann ein zufriedener Zustand einstellen wird, dass es quasi ein Ziel gibt, das es zu erreichen gilt – und dann ist alles gut. Aber erst dann.

Ein achtsamer Mensch hingegen achtet auf den Moment, ohne ihn jedoch zu bewerten. Wir neigen dazu, alles permanent zu bewerten. Achtsam sein bedeutet, diese Bewertung sein zu lassen und sich auf das zu konzentrieren, was gerade außerhalb der Gedanken ist. Eine einfache Übung dazu ist, sich auf den Atem zu konzentrieren und dadurch Distanz zu den Gedanken zu schaffen. Der Diplompsychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott von der Universität Gießen beschreibt die positive Wirkung mit folgendem Bild:

„Ich gehe beim Meditieren auf einen Berg und schaue hinunter ins Tal. Das heißt, ich bin nun in einer Position, die ein bisschen dem Alltagsgeschäft enthoben ist und kann auf das Ganze herunterschauen.“

Dadurch sind wir nicht mehr völlig mit den eigenen Gefühlen und Gedanken identifiziert. Dieser Abstand lasse ein zunehmendes Vertrauen entstehen, dass „sich sogar die größten inneren Dramen wieder auflösen, wenn wir es schaffen, nicht auf die entsprechenden Gedanken einzugehen“, sagt der Psychologe Peter Malinowski von der Universität Liverpool. Das wiederum führt langfristig zu mehr Zufriedenheit und Lebensfreude. Und zu weniger sozialer Angst, weil diese sich sehr stark kognitiv, also in den Gedanken der Betroffenen abspielt, genau wie alle sonstigen Sorgen und Ängste.

Achtsamkeit lässt sich sehr gut durch Meditation und bestimmte Übungen und Techniken trainieren. Besonders erfolgversprechend bei sozialen Ängsten ist die Technik der losgelösten Achtsamkeit, die aus der psychologischen Forschung zur Metakognition kommt. Hier geht es darum, die Einstellung zu den eigenen Gedanken nachhaltig zu verändern.

  • Angst graduell abbauen

Im letzten Schritt geht es nun darum, dass Betroffene sich den individuellen angstauslösenden Situationen Schritt für Schritt aussetzen. Das bedeutet, idealerweise unter Anleitung, sich seinen Ängsten in kleinen Schritten immer öfter zu stellen. Nehmen wir als Beispiel eine Person mit starker Angst davor, Präsentationen im Job vor vielen Menschen halten zu müssen. Ein kleiner erster Schritt könnte sein, eine kurze Präsentation zuhause vor einem guten Freund vorzutragen. Als nächstes könnte der/die Betroffene den Personenkreis erweitern, aber weiterhin in einer Situation bleiben, in der es quasi um nichts geht, also nichts wirklich schiefgehen kann. Und erst der allerletzte Schritt in dieser Kette wäre dann, vor den eigenen Kollegen oder gar Kunden vorzutragen.

Für viele Betroffene ist auch hilfreich, sich in bedeutungslosem Smalltalk zu üben. Das Schöne an Smalltalk ist: Es gibt nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Ein angenehmes Smalltalk-Gespräch kann zu einem netten neuen Kontakt führen. Aber wenn ein solches Gespräch mal schiefgeht, ist das auch kein Problem – daher ist dies ideales „Übungs-Territorium“. Auch hier empfiehlt sich eine schrittweise Steigerung des Schwierigkeitsgrades: Der erste Schritt könnte ein ganz einfacher, beinahe banaler Kommentar an eine fremde Person sein. Beispielsweise ein „Schönes Wetter heute“ an die Person hinter sich in der Kaffeeschlange. Im schlimmsten Fall schaut die Person vielleicht irritiert – im besten Falle entsteht ein kurzes Gespräch. Klappt das schon gut, lässt sich die Schwierigkeit steigern mit Übungen wie „Finde eine Gemeinsamkeit mit einer fremden Person“ oder „Erfahre irgendetwas Neues über eine Person, die Du schon kennst“. Auch hier gilt: Üben, üben, üben. Im Alltag begegnen uns ganz häufig Situationen, in denen wir Smalltalk halten können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen, wenn etwas schiefgeht. Und wie mit allen neuen Fähigkeiten, die wir uns aneignen wollen, gilt: Sicherheit kommt durch kontinuierliches Üben.

Was kannst Du dagegen tun, wenn Du nun das Gefühl hast, von Sozialer Phobie betroffen zu sein? Mit Psychotherapie lassen sich Soziale Ängste in der Regel gut bearbeiten. Der klassische Therapieansatz hierfür ist die Kognitive Verhaltenstherapie. Hierbei begleitet Dich ein/e PsychotherapeutIn über mehrere Wochen. Gemeinsam wird ein Verständnis erarbeitet, wie Deine Ängste entstanden sind, und wann und wie sie sich zeigen. In Übungen, Rollenspielen und Alltagsaufgaben wird selbstsicheres Verhalten in sozialen Situationen eingeübt. Eine Alternative ist ein Online-Programm wie beispielsweise von kivona, das von zuhause bearbeitbar ist und Betroffene ebenso Schritt für Schritt dabei begleitet, soziale Ängste zu überwinden. Auch hier geht es erstmal darum, Entstehung, Angstsymptome und individuelles Vermeidungsverhalten zu identifizieren. Anschließend erarbeitet das Programm virtuell verschiedene Techniken und Methoden mit Dir, die die Angst verringern. Hierbei greift kivona nicht nur auf Methoden aus der Kognitiven Verhaltenstherapie, sondern auch auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus systemischer und metakognitiver Therapie, Neurolinguistischem Programmieren und Narrativer Therapie zurück. Hiermit lassen sich Erfolge erzielen, die der klassischen Kognitiven Verhaltenstherapie nach aktueller Evidenz sogar überlegen sein könnten.

Schreibe einen Kommentar